Die Zeitgleichung
Eine einfache Formel zu Sonnenaufgang und
Untergang
Nicht selten erhalten wir folgende Frage:
"Bitte senden Sie mir eine einfache aber genaue Formel zur
Berechnung von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang". Die
Begriffe "einfach" und "genau" widersprechen sich. Im
Folgenden versuchen wir, einen brauchbaren Kompromiss zwischen
"einfach" und "genau" zu finden. Die erreichte Genauigkeit
wird bei wenigen Minuten liegen - genau genug für die Auf- und
Untergangszeiten der Sonne.
Es gibt neu nun die
Version 2005. Sie ist ausführlicher und genauer, jedoch noch
nicht ausgiebig getestet. Zur
Version 2005
Zunächst müssen ein paar Hilfsmittel
bereitgestellt werden. Im Folgenden wird auf ein paar
grundsätzliche Eigenschaften der scheinbaren Sonnenbewegung am
Himmel eingegangen.
Unterschiede zwischen Sonnenuhr und Armbanduhr.
Traditionell basiert unsere Zeitrechnung auf
dem (scheinbaren) Lauf der Sonne. Erst in moderner Zeit wurden
Zonenzeiten und Atomuhren eingeführt. Wenn die Sonne genau im
Süden steht, ist es 12 Uhr Mittags (sogenannte Ortszeit).
Die Zeit zwischen zwei Mittagen beträgt genau 24 Stunden.
Zumindest sollte es so sein, doch gibt es Abweichungen.
Die Erde dreht sich in 23 Sunden und 56
Minuten einmal um ihre eigene Achse. Die restlichen 4 Minuten
bis zur Ereichung der vollen Länge des Tages von 24 Sunden
erklären sich dadurch, dass wir im Laufe des Tages etwas auf
der Umlaufbahn der Erde um die Sonne vorangekommen sind.
Deshalb steht die Sonne in einer leicht andern Richtung. Die
Erde
muss sich noch 4 Minuten (ca. = 24 Stunden / 365) lang weiter
drehen, bis für den gleichen Ort die Sonne wieder genau im
Süden steht.
Die Neigung der Erdbahn und die leichte
Exzentrizität der Erdbahn bewirken, dass die wahre Taglänge
(Zeitspanne zwischen Mittag und dem folgenden Mittag) um den
Mittelwert 24 Stunden schwankt. Man denkt sich eine mittlere
Sonne, die scheinbar entlang des Himmelsäquators mit
konstanter Geschwindigkeit läuft. Für einen vollständigen
(scheinbaren) Umlauf um den Himmelsäquator benötigt diese
mittere Sonne wie die reale Sonne ein Jahr.
Die mittlere Ortszeit bezieht sich auf diese mittlere
Sonne.
Eine mechanische (oder elektronische) Uhr
läuft gleichmässig: Jeder Tag
hat 24 Stunden. Deshalb kann eine solche Uhr nur die mittlere
Otszeit anzeigen. Die wahre Sonne kann bis zu 15 Minuten zu
früh oder zu spät im Süden stehen als die gedachte mittlere
Sonne. Diesen Unterschied wird Zeitgleichung genannt.
Die Zeitgleichung kann auch als Unterschied zwischen einer die
Ortszeit anzeigenden mechanischen Uhr und einer Sonnenuhr
verstanden werden.
Die Zeitgleichung einfach dargestellt
Die Bewegung der Erde um die Sonne ist genau
betrachtet eine komplizierte Angelegenheit. Selbst wenn die
Erde der einzige Planet
wäre, hätte es mit einer nur nummerisch (d.h. nur durch
spezielle Näherungsverfahren) lösbaren Gleichung zu tun. Die
Erdbahn erfährt zudem noch kleine Störungen durch die anderen
Planeten. Dies alles zu berücksichtigen, würde die eingangs
gestellte Forderung nach Einfachheit verletzen.
Wir müssen deshalb einen anderen Weg gehen.
Dieser besteht darin, dass wir durch die genauen Werte der
Zeitgleichung eine Näherungskurve legen. Wenn man sich die in
Fig. 1 als Funktion der Tagnummer dargestellte Zeitgleichung
ansieht, so kann man sich zwei sich überlagernde harmonische
Schwingungen vorstellen. In der Tat lässt sich damit mit der
folgenden, aus zwei harmonischen Schwingungen
zusammengesetzten Formel die Differenz zwischen Wahrer
Ortszeit (WOZ, Sonnenuhr) und mittlerer Ortszeit (MOZ) auf
besser als eine Minute genau annähern:
Zeitgleichung:
WOZ - MOZ =
-0.1752*sin(0.033430 * T + 0.5474) -
0.1340*sin(0.018234*T - 0.1939) |
Auch hier: Stellen Sie bitte Ihren Taschenrechner
auf Bogenmass (RAD) um, oder multiplizieren Sie die
Werte in den Klammern jeweils vor dem Drücken der
sin-Taste mit 57.29578. Das Ergebnis wird dann in
Stunden ausgegeben, und nicht etwa in
Minuten. |
wobei T die Tagnummer darstellt. Der erste
Januar hat die Nummer 1, der zweite Januar die Nummer 2
usw.
Die oben stehende Formel für WOZ - MOZ
enstand aus einem chi2-Fit durch die Tabelle der richtigen
Werte für das Jahr 2000. Um das Ziel der Einfachheit zu
erreichen, wurde eine Modellfunktion mit so wenig Parameter
wie möglich aber so vielen wie nötig verwendet. Natürlich sind
dadurch die Werte nicht mehr direkt durch Eigenschaften der
Erdbahn verständlich erklärbar oder herleitbar.
Die Deklination der Sonne
Die Höhe über dem Horizont eines Gestirns
beim passieren der Südrichtung (Meridian)
bestimmt, wie lange es über dem Horizont bleibt. Mit der
Zeitgleichung kennen wir den Zeitpunkt, zu dem die Sonne im
Süden steht (Mittag). Wenn wir noch wissen, wie lange die
Sonne über dem Horizont
bleibt, können wir die Aufgangs- und Untergangszeit berechnen.
Dazu brauchen wir die Deklination der Sonne. Vereinfacht
gesprochen ist die Deklination eines Gestirns der Breitengrad
über dem das Gestirn im Zenit
steht (dies stimmt nicht exakt, weil die Erde keine Kugel
ist). Die Deklination der Sonne stellen wir als einfache
harmonische Schwingung dar. Im Gegensatz zur Zeitgleichung
nehmen wir hier also die Näherung einer kreisförmigen Erdbahn
an:
Deklination =
0.40954*sin(0.0172*(T-79.35))
| Ergebnis in
Bogenmass. 180 normale Grad = pi in Bogenmass. Multipliziere
mit 57.29578 für Ergebnisse in Grad.
Auf- und Untergang
Die Zeit, die vergeht, bis die Sonne vom
wahren Mittag bis zum Erreichen eine bestimmten Horizonthöhe h
erreicht, kann durch folgende Formel dargestellt werden. Sie
ist exakt für Punkte, deren astronomische Koordinaten
(Deklination, Rektaszension)
fix sind, und der Einfluss durch die Erdatmosphäre ignoriert
wird:
Zeitdifferenz =
12*arccos((sin(h) - sin(B)*sin(Deklination)) /
(cos(B)*cos(Deklination)))/pi;
|
wobei B die geographische Breite bedeuten
soll. Wenn das Argument des arccos im Betrag grösser als eins
ist, so erreicht die Sonne im Laufe des Tages nie die
geforderte Horizonthöhe h. Dies kann z.B. im hohen Norden
während der Polarnacht der Fall sein oder während der Zeit der
Mitternachtssonne.
Auf- und Untergangszeit in mittlerer
Ortszeit:
Aufgang Ortszeit = 12 -
Zeitdifferenz - Zeitgleichung Untergang Ortszeit = 12
+ Zeitdifferenz - Zeitgleichung
|
Unsere Uhren zeigen jedoch nicht die mittlere
Ortszeit unseres Beobachtungsorts an, sondern eine bestimmte
Zonenzeit. Diese Zonenzeit ist die mittlere Ortszeit eines
bestimmten Längengrades. Die Weltzeit ist z.B. die mittlere
Ortszeit von null Grad Länge.
Aufgang = Aufgang
Ortszeit - geographische Länge /15 +
Zeitzone Untergang = Untergang Ortszeit -
geographische Länge /15 + Zeitzone
|
Zeitzone ist die Differenz Zonenzeit -
Weltzeit. In Mitteleuropa beträgt diese Differenz während der
Winterzeit eine Stunde, während der Sommerzeit zwei
Stunden.
Fig. 3: Sonnenuntergangszeiten und
Dämmerung für Zürich in Mitteleuropäischer Zeit, d.h.
die Sommerzeit wird nicht berücksichtigt. © R.
Brodbeck. |
Das Licht der Sonne wird in der Atmosphäre
gebeugt. Es läuft besonders in Horizontnähe auf einer leicht
zum Boden hin gekrümmten Bahn.
Deshalb kann man die Sonne auch noch sehen, wenn sie rein
geometrisch schon untergegangen ist. Deshalb wird der
Untergang und auch der Aufgang der Sonne für eine geometrische
Horizonthöhe h von -50 Bogenminuten berechnet. Von
bürgerlicher Dämmerung spricht man, wenn h= -6 Grad ist,
nautische Dämmerung entspricht h = -12 Grad und schliesslich
astronomische Dämmerung entspricht h = -18 Grad.
Mit den oben stehenden Formel lassen sich,
abgesehen für die Polarregionen Sonnenaufgang und Untergang
sowie die Dämmerungszeiten auf besser als 5 Minuten berechnen.
Zahlenbeispiel:
Es soll der Sonnenaufgang für Berlin am 30. Januar
bestimmt werden.
Berlin liegt auf 13.4 Grad Ost, 52.5 Grad
Nord 30. Januar bedeutet T = 30 (Bruchteile von
Tagen zu berücksichtigen bringt nichts) (für den
1. Februar wäre T = 32)
B = Pi *52.5 / 180 = 0.9163
Deklination der Sonne:
0.40954*sin(0.0172*(30-79.349740)) = -0.30731 =
-17.4 Grad
Sonnenaufgang h=-50 Bogenminuten =
-0.0145
Zeitdifferenz = 12*arccos((sin(-0.0145) -
sin(0.9163)*sin(-0.30731)) /
(cos(0.9163)*cos(-0.30731)))/Pi = 4.475
Stunden.
Sonnenaufgang um 12 - 4.475 = 7.525 Uhr Wahre
Ortszeit.
Zeitgleichung : -0.1752*sin(0.033430 * T +
0.5474) - 0.1340*sin(0.018234*T - 0.1939) =
-0.222 Stunden = WOZ - MOZ
MOZ = WOZ + 0.222 Stunden = 7.747 = 7.847
Uhr in MEZ
für Berlin. 7.847 = 7.747 + (15 - 13.5)*4/60 Die
MOZ des 15. östlichen Längengrades ist die Mitteleuropäische
Zeit MEZ.
Also, Sonnenaufgang für Berlin um 7 Uhr
51!
Ein Vergleich mit CalSKY.com (auch ein Service von
astro!nfo) ergibt 7 Uhr 52 für den Sonnenaufgang.
Das ist OK, mit so einfachen Formeln kann man keine
bessere Genauigkeit erwarten.
Ich hoffe, dieses Zahlenbeispiel hilft bei der
Anwendung dieser Formeln. Beachten Sie auch, dass Sie die
Formeln bei uns in einem Java-Script angewenden können.
» HIER
Kontakt zum Autor: Bevor Sie ein E-mail mit
dem Betreff "alle Formeln falsch" schreiben, sollten Sie
wissen, dass es Leute gibt, die ganz gut damit klargekommen
sind. Auch das Java-Script
arbeitet ja genau mit diesen Formeln. Sie sind nicht der
Erste, der sich unabhängig damit auseinandersetzt. Sind Sie
sicher, dass Ihr Taschenrechner für sin und cos auf Bogenmass
(rad) umgestellt ist? Haben Sie daran gedacht, dass das
Ergebnis der Zeitgleichung Stunden und nicht Minuten sind
(z.B. sind 0.25 Stunden = 15 Minuten)? Ein freundlicher
Tonfall wird Missverständisse schneller klären helfen. Fragen
bitte per E-mail via Redaktion CalSKY.com. Sie können
problemlos auf Deutsch schreiben.
Haftungsausschluss: Der Autor
übernimmt keine verbindlichen Garantien für die Anwendbarkeit
und Richtigkeit der in diesem Artikel angegebenen Formeln. Man
Vergleiche die Ergbenisse auf jedenfall zuerst mit anderen
Berechnungen, z.B. mit den online abfragbaren Auf- und
Untergängen von CalSKY!
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